1.20 Starke Bande
Ties That Bind
~ Besetzung ~
Lucy Lawless (Xena)Renee O'Connor (Gabrielle)
Tom Atkins (Atrius)
Kevin Smith (Ares)
Stephen Lovatt (Kirilus)
Sonia Gray (Rhea)
Lutz Halbhubner (Tarkis)
Jonathon Whittaker (Andrus)
Nancy Broadbent (Areliesa)
Heidi Anderson (Sklavin)
John Manning (1. Farmgehilfe)
Mark Perry (1. Krieger)
Tony Williams (2. Krieger)
James Marcum (3. Krieger)
Robin Kora (Dorfältester)
Stab:
Drehbuch: Adam Armus and Nora Kay Foster
Musik: Joseph LoDuca
Schnitt: Jim Prior
Regie: Charles Siebert
Erstausstrahlung:
USA 29.04.96
BRD 04.05.97
~ Zusammenfassung ~
Während der Befreiung einiger junger Frauen aus den Händen des Kriegsherren Kirilus läuft Xena und Gabrielle ein alternder Krieger über den Weg, der Stein und Bein schwört, Xenas Vater Atrius zu sein. Xena, die sich erst weigert, ihm auch nur Gehör zu schenken, muss im Laufe der Zeit jedoch feststellen, dass dieser Mann erstaunlich viel über sie, ihre Jugend und ihre Mutter weiß. Atrius legt Gabrielle recht unverblümt nahe, ihm und seiner vermeintlichen Tochter Zeit zu lassen, sich kennenzulernen. Gabrielle nimmt sich deshalb allein der jungen Frauen an, die Geleit in ihr Heimatdorf brauchen. Die Wege der Kriegerin & Bardin trennen sich fürs erste. Als Atrius, den Xena mit immer mehr Wohlwollen und Emotion betrachtet, von den aufgebrachten Dorfbewohnern, die noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen haben, getötet wird, verfällt sie in einen blinden, grausamen Kampfrausch. Mit Hilfe der Armee des Kirilus, den sie mittlerweile besiegt hat, will sie das Dorf und alle seine Bewohner auslöschen! Einzig Gabrielle wagt es, sich ihr in den Weg zu stellen. Sie zieht der außer Kontrolle geratenen Freundin kurzerhand eine Heugabel über den Schädel & bricht so ihren Kampfrausch. Der vermeintlich tödlich verletzte Atrius gibt sich als Kriegsgott Ares zu erkennen, der wieder einmal begreifen muss, dass seine ehedem beste Kriegerin niemals zu ihm zurückkehren wird.
~ Übersetzung Titel & Disclaimer ~
Ties that bind - Bande die binden
Im englischen bewusst doppeldeutig im Sinne von "Familienbande die verbinden" oder "Fesseln die festhalten".
Disclaimer
No Fathers, Spiritual or Biological, were harmed during the production of this motion picture.
Keine Väter, weder Geistige noch Biologische, wurden während der Produktion dieses Films verletzt.
~ Kommentar ~
Wer die Geschichte der amerikanischen Familie studiert, unternimmt eine Rettungsaktion ins Traumland unserer nationalen Selbsteinschätzung. Kein Thema ist enger verbunden mit unserem Gefühl einer schwierigen Gegenwart - und unserer Sehnsucht nach einer glücklicheren Vergangenheit.
John Demos (übersetzt aus Arlene Skolnick: Embattled Paradise 1993)
Diese Episode hat zwei Hauptthemen, die Rückkehr der bösen "Evil-Xena" aus den Hercules Episoden und die Sehnsucht nach der Familie, die auch unsere Heldinnen ab und an überfällt. Nachdem Gabrielle in "The Prodigal" sich mit ihrer Schwester verständigen musste, ist Xena hier mit ihrem vermeintlichen Vater Atrius dran. In einer Parallelhandlung ist es Rhea, die ihrer Schwester nicht bei der Gründung ihrer neuen Familie in die Quere kommen will. Gabrielle hingegen will Xena nicht von ihrer alten Familie bzw. ihrem Vater trennen. Warum das so ein Problem sein soll, ist für den Zuschauer nur bedingt verständlich. Rhea könnte mit ihrer Schwester noch genug unternehmen und es wäre weder nötig noch sinnvoll, dass Xena fortan mit ihrem Vater durch die Wälder zieht. Meist reicht eine Postkarte ab und an aus.
Die Rhea Handlung scheint wohl als Parallele zum Familiendreieck Xena/Atrius/Gabrielle gedacht zu sein. Rhea hat vermeintlich Schande über ihre Familie gebracht. Woraus diese Schande eigentlich besteht, darüber gibt es nur die Andeutung " I couldn't let her be - taken", was nach einer Art freiwilligen Vergewaltigung klingt, oder zumindest der Bereitschaft dazu wie in der Anfangsszene mit Kirilus. Leider fragt sich der Zuschauer wo da die Schande sein soll, ist es doch eher eine heroische Tat und so wird es auch von ihrer Schwester gesehen als sie wieder zurückkehrt. So bleibt die Rhea Nebenhandlung reichlich diffus und gehört zu den großen Schwachpunkten der Folge. Dafür bringt Rhea ein apartes dekoratives Element in die Familienhandlung, obwohl dekorativ herumwandelnde Damen sonst eher Zeichen der Hercules Serie sind.
Bei der ganzen Familiengeschichte muss der mitteleuropäische Zuschauer bedenken, dass die Familie in den USA eine viel höhere Bedeutung hat als bei uns. Zumindest im gutbürgerlichen Mittelstand. Es ist üblich allweihnachtlich zum Fotografen zu gehen, sich mit Kind, Kegel und Haustieren ablichten zu lassen und die Bilder dann mit erläuternden Worten an sämtliche Verwandten zu schicken. Auch ihren schmalen Jahresurlaub von ca. 2-3 Wochen verbringen die Amerikaner damit Kontakte zu den entferntesten Familienangehörigen zu pflegen. Deshalb sind auch die meisten amerikanischen Touristen in Europa entweder Austauschschüler oder Rentner. Doch genau wie in allen westlichen Industrienationen ist die vermeintlich heile Familienwelt ins Schwanken geraten. Anfang der neunziger Jahre war die Diskussion um Singles und den Familienverfall in den USA besonders heftig und deutlich schärfer als bei uns. Ein Buch trug den passenden Titel "Das umkämpfte Paradies".
Dieser Familienwunsch kommt besonders deutlich zum Ausdruck in der Szene, in der Xena am Hügel sitzt und mit verträumtem Blick in die idyllische Landschaft schaut. Das Lied das sie dabei als Erinnerung summt ist übrigens das gleiche, das sie zum Begräbnis von Marcus gesungen hat. Vater, Marcus und Familie? Da könnte man doch, entgegen aller Subtext-Theorien, den Wunsch nach einer gutbürgerlichen Ehe hineininterpretieren. Zweimal wird dieses Idyll gleich wieder zerstört. Als Atrius von den Dörfler quasi gekreuzigt wird und mit seinem Tod die Nostalgie für immer verschwinden würde, was letztlich der Grund für die Wandlung zur zerstörerischen Xena ist. Und zum zweiten Mal als sich der Vater ausgerechnet als Kriegsgott Ares entpuppt. Was man durchaus als zynischen Kommentar zu den Verhältnissen mancher Familien sehen kann. Da bleibt Xena fast nicht anderes übrig als auf die Freundschaft zu Gabrielle zu setzen. Das Gabrielle eine Art Familienersatz bzw. eine Schwester ist (später kommt noch Joxer als eine Art doofer Bruder dazu) hat sich schon in einigen Episoden angekündigt, wie in der Episode X1.13 Die Erfüllung eines Traums oder in X1.18 Die verlorene Tochter.
Am Ende sagt Xena zu Gabrielle: "I want you to understand something. We both have families we were born into. But sometimes families change, and we have to build our own. For me, our friendship binds us closer than blood ever could." Da viele Xena Fans auch Buffy mögen, verweisen wir zum gleichen Thema auch auf die Buffy Episode 5.6 Family, in der Tara sich ihre Freunde als Ersatzfamilie aussucht. Diesen Wunsch scheinen viele zu teilen. Denn der oben angesprochene Satz von Xena "Unsere Freundschaft verbindet uns enger, als es Blutsbande je könnten" wird in vielen Xena Episodenguides als besonderes Zitat hervorgehoben. Offensichtlich gefällt die Idee vielen Fans.
Wir möchte deshalb eine Anmerkung zu diesem Zitat und seiner Wertschätzung durch die Fans machen und auch zur Frage ob Xena eigentlich weiß was sie da so heraus plappert. Das Jugendliche ihre Eltern für intolerant, einengend und eher lästig empfinden, kommt wohl bei vielen irgendwann mal vor. Das gehört in starker oder in schwacher Form zum Erwachsenwerden dazu. Aber auch einige Eltern zweifeln an dem Sinn der genetisch bedingten Familienbindung, wenn die einzige Leistung, die der Spross ihrer Lenden erbringt, der erste Platz im Komasaufen ist. Oder wenn der Nachwuchs die grundgesetzlich garantierte freie Entfaltung der Persönlichkeit (GG Artikel 2) dahingehend interpretiert, die gesamt Nachbarschaft am eigenen erlesene Musikgeschmack teilhaben zu lassen. Kein Wunder das besonders Ältere ein Haustier zu ihrem treuesten Freund und Familienmitglied erklären. Doch wie bei manchem ist das Neue, das man bekommt, nicht immer besser als das Alte, das man aufgibt. Besonders in städtischen Lebensweisen ist die freiwillig gewählte Freundschaft eigentlich schon länger der Standard, also völlig üblich und richtet sich nach Beruflicher Stellung, Wohnort oder gerade aktuellen Freizeitinteressen. Ändern diese sich, dann ändert sich der Freundeskreis auch. Das Motto "But sometimes families change, and we have to build our own" kommt dann erneut um tragen. So kann man schnell von einer Ersatzfamilie zur nächsten hoppeln ohne dass es einen nennenswerten Mehrwert erbringt. Besonderes Pech, wenn durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit die treuen Freunde sich lieber andere Familien suchen und keiner mehr gern beim eigenen Ersatzfamilienspiel mitmachen möchte. Dann bleibt die gute alte echte Familie oftmals der einzige Rückzugspunkt. Das sollte man bedenken und deshalb ist das Zitat mit etwas Vorsicht zu genießen, wenn es auch im Falle von Xena eindeutig und gerechtfertigt ist, denn wer will schon einen Kriegsgott zum falschen Vater haben.
Jedoch wird in dieser Episode, wie auch bei späteren der Familie indirekt eine höhere Bedeutung eingeräumt als der Freundschaft. In einer zentralen Szene, als Atrius Tarkus tötet, glaubt Xena ihrem vermeintlichen Vater mehr als Gabrielle. Und kennt ihn dabei gerade mal ein paar (Film)Minuten. In der dritten Staffel, wenn es zum Bruch der Freundschaft zwischen Gabrielle und Xena kommt, in Fachkreisen auch als "The Rift" bezeichnet, kommt das gleiche Thema wieder hoch. Den mit Solan und Hope stehen sich quasi Familie Xena und Familie Gabrielle gegenüber und da scheinen die Blutsbande doch stärker als vermutet zu sein. Da scheint das starke Bekenntnis zur Freundschaft mehr aus einem Mangel an echten familiären Alternativen zu kommen - zumindest teilweise. Wir zitieren hier Aristoteles: "Denn der Wunsch, Freundschaft zu schließen, stellt sich schnell ein, die Freundschaft nicht." Aber immerhin kommen Xena und Gabrielle besonders im weiteren Verlauf der Serie dem aristotelischen Freundschaftsideal ziemlich nahe, wie wir später noch sehen werden und was ja letztendlich auch den Reiz der Serie ausmacht.
Genauso reizvoll das Duell Xena vs. Ares, dass besonders am Ende mit starker Symbolik dargestellt wird, wenn sich beide mehrfach wie Raubtiere umkreisen. In Erweiterung des Duells aus der Folge X1.06 Xena und der Kriegsgott, wird hier die Dramatik gesteigert. Hat dort Xena "nur" Gabrielle eine Ohrfeige verpasst, will sie hier gleich nach alter Gewohnheit das ganze Dorf ausradieren. Konnte sie dort noch Ares selbst überlisten, ist sie hier nur mit der schlagkräftigen Gabrielle dem Spiel entronnen. Somit hat Ares hier schon einen Teilsieg errungen und damit bekommt die Serie auch einen deutlich dunkleren Charakter. Da kommt noch was auf unsere Heldinnen zu.
~ Bildkommentar ~
Das passende Bild zum Titel: Xena findet ihren vermeintlichen Vater Atrius. Gut finden Xena Fans, besonders die weiblichen, auch die Rückkehr des schmucken Ares. Da kann man über gewisse charakterliche Defizite schon hinwegsehen.
Wie zeigt man, dass ein Bösewicht eben ein böser Wicht ist. Indem er Schmetterlinge mit dem Blasrohr aufspießt: "Oh, I love my job!" Ältere Rockmusikfans erinnert der irre Tarkus mit dem Blasinstrument vielleicht an Jethro Tull. Tarkus mangelnder Sinn fürs Ästhetische kommt in der Kopfbedeckung zum Ausdruck. Auf jeden Fall hält das Käppchen auch im Winter die Ohren warm. Langhaarige wie Kirilus haben da weniger Probleme. Dafür bekommt er bald andere.
Idyllische Landschaft, grasendes Pferd - Xena träumt nostalgisch von vergangenen Tagen und summt die Melodie von Marcus' Begräbnis. Auch eine Kriegerin überkommt zuweilen die Sehnsucht nach der gutbürgerlichen Familienexistenz.
Xena bringt Tarkus die Flötentöne bei. Zwar steckt der Pfeil im Mund und nicht im Hals, aber das ist eindeutig die coolste Kampfszene der Episode.
Atrius gibt dem armen Tarkus den Rest. Gabrielle weiß, dass dies nicht der nette alte Daddy ist. Und der geübte Zuschauer ahnt schon was.
Xena glaubt ihrem vermeintlichen Vater Atrius mehr als Gabrielle. Wo bleibt da die vielbeschworene Freundschaft? Dafür glaubt ihr die immer elegant daher wandelnde Rhea. Schade dass die aparte Gestalt in der Episode nur dekorativen Charakter hat.
Tja, also das kann der besten Kriegerprinzessin passieren. Ihr Chakram rollt davon! Da heißt es die Gelassenheit bewahren. Auf jeden Fall sollte Xena mit dem herumwerfen der wertvollen Gerätschaften etwas vorsichtiger sein. Zum Glück sind es nur ein paar Schritte bis zum Schwert.
Eigentlich gelten die Griechen als Begründer der Demokratie. In dieser Variante machen die Kandidaten die Stichwahl allerdings unter sich aus. Dem Sieger laufen alle willig und johlend hinterher. So einfach kann Politik sein.
Xena wird wieder richtig böse und will gleich das ganze Dorf ausradieren. Selbst die, die sie vorher gerettet hat. Das lässt uns am Resozialisierungsgedanken zweifeln und wir empfehlen auf jeden Fall den Besuch eines geschulten Therapeuten - oder einer guten Freundin.
Gabrielle geht dazwischen und wendet eine bewährte, wenn auch heutzutage leider in Verruf geratene Erziehungsmethode an. Erst gut zureden und wenn das nichts hilft, dann einen nachdrücklichen Schlag auf den Hinterkopf. Wirkt manchmal Wunder, besonders bei Kriegerprinzessinnen im Killer-Modus.
Atrius war natürlich nicht Vater Atrius sondern Rocker Ares. Diesmal hat er zumindest einen Teilsieg errungen. Xena beschwört die Freundschaft zu Gabrielle, auch wenn nach dieser Performance zumindest leichte Zweifel bestehen wie das wird, wenn Madame mal wieder ihre Ares-Tage bekommt.
~ Trivia ~
- Tom Atkins hat viele Nebenrollen in John Carpenter Filmen gespielt, z.B. in dem Horrorklassiker The Fog - Nebel des Grauens (1980). Eine andere bekannte Nebenrolle hatte er als Michael Hunsaker in dem Film Leathal Weapon (1987).
- In der Hercules Folge H6.02 Liebe auf Amazonenart spielt Sonia Gray (Rhea) eine Amazone.
- In Julius Cäsars Buch "Der gallische Krieg" gibt es einen römischen Offizier mit dem Namen Quintus Atrius. Ob der eine Tochter namens Xena hatte ist nicht überliefert.